Standortdebatte

Die Standortdebatte ist eine seit Anfang der 1990er-Jahre geführte Auseinandersetzung um die Wettbewerbsfähigkeit von Industrie und Wirtschaft am Standort Deutschland. In ihrem „Bericht zur Zukunftssicherung des Standortes Deutschland“ (03.09.1993) hatte die Bundesregierung festgestellt, dass nach ihrer Ansicht die Löhne und Lohnnebenkosten im internationalen Vergleich zu hoch seien und die Arbeitszeiten zu kurz (obwohl die Bundesrepublik 1992 auf Platz zwei der Exportnationen lag).

Die Unternehmenssteuern müssten erheblich gesenkt werden, um die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft zu sichern. Aus demselben Grunde seien Sozialabgaben und Sozialleistungen strikt zu begrenzen. Der Staat habe im Übrigen zu viele Aufgaben, die Private besser oder ebenso gut ausführen könnten. Die Bundesregierung sei deshalb entschlossen, die Privatisierung von öffentlichen Unternehmen oder Unternehmensbeteiligungen voranzutreiben. Für Arbeitslose sei die Zumutbarkeit von Arbeit auszuweiten und die private Arbeitsvermittlung zu testen. Insgesamt müsse mehr dereguliert werden.

Vertreter von Wirtschafts- und Arbeitgeberverbänden forderten zusätzlich, ihnen auferlegte gesetzliche, bürokratische und flächentarifliche Verpflichtungen einzuschränken. Gefordert wurde mehr Markt und mehr Eigenverantwortung des Einzelnen statt staatlicher Leistungen. Nur so könne die Wettbewerbsfähigkeit von Industrie und Wirtschaft erreicht werden.

Von der großen Mehrheit der deutschen Medien wurden solche Forderungen unterstützt. Mit der Reformpolitik Ende der 1990er-Jahre wurde ein entsprechender Kurswechsel durch die Regierung Gerhard Schröder vollzogen, der vor allem auf einen umfangreichen Abbau von Leistungen gerichtet war. Zum Symbol dieser Politik wird das Hartz IV genannte Gesetzespaket, dass zu den nachhaltigsten Kürzungen von Sozialleistungen seit Bestehen der Bundesrepublik führte. Kritiker unter den Wirtschaftswissenschaftlern führen die anhaltend schwache Binnennachfrage und das gegenüber anderen europäischen Ländern unterdurchschnittliche Wirtschaftswachstum in Deutschland auf solche Leistungskürzungen und die niedrigen Lohnentwicklungen zurück.

Die Standortdebatte um die Wettbewerbsfähigkeit hält an, nachdem osteuropäische Staaten mit ihrem Niedriglohn und Niedrigsteuerniveau der EU beigetreten sind. Verbände fordern weiter Lohnzurückhaltung und verlängerte Arbeitszeit, obwohl die deutsche Wirtschaft als sogenannter Exportweltmeister auf vielen Weltmärkten dominiert. Die strukturellen Handelsüberschüsse trugen in Verbindung mit einer gleichartigen Politik in China und Japan auch zur weltwirtschaftlichen Destabilisierung bei, die die Finanzmarktkrise mit auslöste.


War die Erklärung zu "Standortdebatte" hilfreich? Jetzt bewerten:

Weitere Erklärungen zu