Kapitalstruktur: Verschuldungsgrad und optimale Kapitalstruktur

Die Kapitalstruktur ist die Art und Gewichtung der Zusammensetzung des gesamten Kapitals einer Unternehmung aus den verschiedenen Kapitalquellen und Kapitalarten, insbesondere aus Eigenkapital und Fremdkapital. Die Kapitalstruktur ist daher die Darstellung des Portfolios aus den eingegangenen und laufenden Finanzkontrakten, das Kapitalportfolio der Unternehmung.

Wenn nur Eigenkapital und eine einzige Form von Fremdkapital betrachtet wird, wird die Kapitalstruktur oft auf eine Zahl reduziert, auf den sogenannten Verschuldungsgrad.

Verschuldungsgrad = Fremdkapital / Eigenkapital

Der Verschuldungsgrad wird meistens als Relation zwischen dem Fremdkapital und dem Eigenkapital definiert doch gibt es auch eine Definition, die den Verschuldungsgrad als Quotienten von Fremdkapital und Gesamtkapital (= Summe von Eigenkapital und Fremdkapital) definiert. Zu ergänzen ist, ob die beiden Kapitalarten durch ihre Buchwerte oder durch ihre Marktwerte ausgedrückt werden.

Die Kapitalstruktur ist der „Gegenbegriff‘ zum Unternehmensportfolio, das alle Vermögenspositionen umfaßt. Auch die Kapitalstruktur ist ein Portfolio. Eine klassische betriebswirtschaftliche Frage ist die, wie die „optimale“ Kapitalstruktur aussieht. Intuitiv einsichtig ist, daß die optimale Kapitalstruktur simultan mit der optimalen Struktur des Unternehmensportfolios bestimmt werden muß und nicht isoliert vom Vermögen der Unternehmung gestaltet werden kann. Jede Unternehmung im Finanzsektor (Bank, Versicherung) hat hierzu ein sophistiziertes Asset-Liability-Management (ALM). Die Assets bilden das Unternehmensport-folio, die Liabilities (Verpflichtungen) bilden zusammen mit dem Eigenkapital das Kapitalportfolio.

Obwohl die Erfordernis der Simultanplanung von Unternehmensport-folio und Kapitalportfolio intuitiv einsichtig ist, ist sie naturgemäß recht komplex.
Das erklärt die hohe Aufmerksamkeit, die um 1960 zwei amerikanische Forscher, MODIGLIANI und MILLER mit ihrer These gefunden haben, die Kapitalstruktur sei irrelevant für den Wert der Unternehmung. Die Prämissen für die Modigliani-Miller-These verlangen einen vollkommenen Finanzmarkt.

Die Eigenkapitalgeber sollen jene finanziellen Maßnahmen, die das Management zu ergreifen beabsichtigt, auch selbst und zu denselben Konditionen herbeiführen können und es soll den Eigenkapitalgebern ebenso möglich sein, die Wirkung einer finanziellen Maßnahme des Managements durch eine anders gerichtete Finanztransaktion rückgängig zu machen.

Die Prämissen für die Ableitung der Modigliani-Miller-These sind:

1. Der Sollzinssatz und stimmt mit dem Habenzinssatz überein, und dieser Zinssatz ist für alle Marktteilnehmer (Unternehmung, Eigenkapitalgeber) gleich.

2. Die Anlagebeträge und Kreditbeträge sind beliebig teilbar und es gibt keine Tranksaktionskosten

3. Die Steuergesetzgebung ist finanzierungsneutral.

4. Ein ursprünglich getroffene Prämisse hinsichtlich des Konkursrisikos erwies sich später als nicht erforderlich.

Es muß nicht betont werden, daß diese Prämissen Idealisierungen sind. Die heutige Kapitalstrukturtheorie nimmt die genannten Prämissen und die Modigliani-Miller-These daher nur als Ausgangspunkt und konzentriert sich auf Abweichungen von diesem Bezugspunkt. Verschiedene Aussagen zur Bedeutung der Finanzierung mit Fremdkapital (Leverage-Politik) wurden erarbeitet. Die beiden wichtigsten sind:

1. Sofern die Steuern nicht fmanzierungsneutral sind, hat die Fremdfinanzierung einen positiven Effekt auf den Wert der Unternehmung (sogenanntes Tax Shield).

2. Fremdfinanzierung erhöht die Gefahr einer finanziellen Enge und Not (Financial Distress), weil das Fremdkapital als Verpflichtung bedingungslos zu bedienen ist. Das gilt natürlich besonders bei einer hohen Fremdfinanzierung.

Diese beiden Argumente führen zu der Aussage, der Wert der (zum Teil fremdfinanzierten) Unternehmung sei gleich dem Wert derselben Unternehmung, wenn sie nur vollständig mit Eigenkapital finanziert wäre, plus der Barwert von Steuervorteilen, abzüglich des Barwertes der Nachteile durch einen eher möglichen Financial Distress.

Wert bei Verschuldung = Wert ohne Verschuldung + Barwert der Steuervorteile + Barwert der Nachteile erhöhten Financial Distress

Weitere Aussagen zur Wirkung von Fremdfinanzierung lauten:

Fremdfinanzierung hat eine positive Signalwirkung für die Eigenkapitalgeber: Das Management verpflichtet sich zu insgesamt sinnvollen Maßnahmen, auf die Fremdkapitalgeber (Banken) achten und die bei Fremdfinanzierung deshalb durchgesetzt werden (ohne daß sich die Eigner dazu noch bemühen müßten):

1. Ordentliche Geschäftspläne.

2. Eine Investitionspolitik, die es mit Sicherheit erlaubt, Zinsen zu zahlen.

3. Eine gewisse Transparenz bei der Information.

4. Zudem bringen Banken Branchenwissen ein.

Fremdfmanzierung, sofern sie substantiell ist, verschafft im Fall einer Notlage der Unternehmung (Financial Distress) die Möglichkeit, einen Kontrollwechsel von den Eignern zu den Gläubigern zu erörtern. Die finanziellen Optionen sind durch den Einbezug von Fremdkapitalgebern eher größer.

Der Wert des Eigenkapitals einer verschuldeten Unternehmung ist aufgrund der Haftungsbeschränkung konvex abhängig (Analog dem Payoff einer Kaufoption) von der Entwicklung des Gesamtunternehmenswertes. Das führt dazu, daß die Eigenkapitalgeber eine höhere Bereitschaft haben, Risiken einzugehen, was wiederum die Gefahr einer wenig transparenten Änderung der Geschäftspläne zugunsten risikoreicherer Strategien zur Folge hat (asset substitution effect).

Die Hoffnung, daß das Management nun für das Kapitalportfolio eine wie auch immer als „optimal“ erkannte Zielstruktur anvisiert, bewahrheitet sich nicht. Manager haben eine deutliche Präferenz bei der Kapitalaufnahme. Sie wird als Pecking-Order der Finanzierung bezeichnet. Diese Hackordnung ist theoretisch begründet und empirisch bestätigt.

1. Das Management versucht in erster Linie das Potential an Innenfinanzierung für die Investitionen heranzuziehen. Die „Finanzierung aus eigener Kraft“ wird von ihnen lobend herausgestellt. Hier müssen, anders als bei der Außenfinanzierung, keine neuen Verträge abgeschlossen werden, und die Kontrolle der Mittelverwendung ist vielfach schwach.

2. Nur wenn die Innenfinanzierung nicht ausreicht, greifen Manager zur Außenfinanzierung und schließen neue Finanzkontrakte ab. Hierbei erscheint ihnen der Weg zur Bank leichter als eine Kapitalerhöhung.

3. Erst wenn die Bank keine weiteren Kredite mehr gibt, weil die Debt-Capacity erreicht ist, greifen die Manager zur Kapitalerhöhung und sprechen Eigenkapitalgeber an.

Noch dazu gilt: Manager neigen zur Ausgabe neuer Aktien, wenn sie denken, die Aktienkurse seien gegenwärtig eher zu hoch. Investoren sehen diese Verhaltensweise, und wenn eine Kapitalerhöhung angekündigt wird, reagieren sie angesichts der unterstellten hohen Kurse mit Verkäufen. Die Aufnahme neuen Eigenkapitals ist teuer.


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